Der Schweizer Arzt, Forscher und Maler Hans Jenny (1904-1972) erforscht in den `50er, `60er und frühen `70er Jahren des 20. Jahrhunderts, wie sich die Welt unter der Einwirkung von Ton, Klang und Schall beobachten lässt. Hans Jenny benutzt dabei die inzwischen weiterentwickelte Technik

 

Er beginnt immer mit grundlegenden Experimenten. Entscheidend ist dabei, nicht mehr aus der Weltanschauung der Antike die Phänomene zu beurteilen, sondern am Phänomen bleibend, ihm folgend, schrittweise die Natur zu erfassen.

"In Gesprächen, die sich an Dokumentationen harmonikaler Schwingungen anknüpften, wurde immer wieder von historischer und philosophischer Seite darauf hingewiesen, dass frühere Weltanschauungen auf solcher Harmonik wesentlich beruhen, ja eigentliche Harmonik seien. Das Weltbild des Pythagoras sei geradezu dadurch zu charakterisieren, dass sich Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik und Ethik in Zahlen und ihren Verhältnissen erfassen lassen (»alles ist Zahl«). In dem Buch »Plato und die so-genannten Pythagoreer« (1923) weist nun Erich Frank in sicherstellender Art auf Beziehungen von Plato zu den unteritalischen Pythagoreern, vor allem zu Archytas hin, der in der ersten Hälfte des 4.Jahrhunderts v.Chr. in Unteritalien als Physiker und Mathematiker (Staatsmann und Feldherr) wirkte. Plato besuchte ihn und lernte seine Entdeckungen und Forschungen kennen. Es sind nur wenige Fragmente von Archytas überliefert. Jedoch ist sicher, dass er die Zahlenverhältnisse der Intervalle im Zusammenhang mit den Schwingungsbewegungen von Saiten gefunden hat. Diese Erkennt-nisse waren für Plato von der größten Bedeutung, und unter ihrem Einfluss schuf er Ordnungen, in denen die Zahlen 1,2,3,4 (als »Idealzahlen«) geradezu zu weltschaffen den Prinzipien wurden. 

Vertieft man sich in die Anschauungen Platos, so wird ersichtlich, dass alles nach Maß und Zahl, nach Proportion und mathematischer Form geordnet wird. Für uns ist natürlich der Dialog »Timaios« wesentlich, da hier vom Pythagoreer Timaios die Weltschöpfung geschildert wird und umfassende Darstellungen der Natur-und Menschen-entstehung gegeben werden. Da wird entwickelt, wie mit Dreiecken die Weit (Erde, Wasser, Luft und Feuer) sich aufbaut, wie solche Dreiecke sich zu den regulären Körpern zusammenformen, die den Aggregatzuständen zugeordnet werden. Um die Möglichkeit zu geben, in diese platonische Weit sich etwas einzuleben, zitieren wir über diese Formgestaltungen aus dem Timaios einige Sätze. »Zunächst ist es nun wohl jedermann klar, dass Feuer, Erde, Wasser und Luft Körper sind. Jede Art von Körpern hat Tiefe, und die Tiefe ist nicht ohne begrenzende Ebenen denkbar. Jede gradlinige Ebene (Fläche) aber setzt sich aus Dreiecken zusammen, und allen Dreiecken liegen zwei Arten von Dreiecken zugrunde: Beide haben einen rechten und zwei spitze Winkel; die eine Art aber ist gleichschenkelig und hat zu beiden Seiten der Hypotenuse Winkel von der Größe eines halben rechten Winkels, die andere Art ist ungleichseitig.« (Es handelt sich also um ein gleichschenkeliges, rechtwinkeliges Dreieck und um ein ungleichseitiges, rechtwinkeliges Dreieck.) »Von den beiden genannten Dreiecken lassen die gleichschenkeligen nur eine Art zu, die ungleichseitigen dagegen unzählige. « Es wird dann das gleichseitige Dreieck abgeleitet.

»Setzt man aber vier gleichseitige Dreiecke so zusammen, dass je drei Flächenwinkel in einem Punkt zusammentreffen, so bilden sie an den betreffenden Stellen je einen körperlichen Winkel, sind deren vier gebildet, so tritt damit die erste Art eines stereometrischen Gebildes hervor.« Das ist der Tetraeder, die dreiseitige Pyramide. ln solcher Art werden nun Oktaeder, Hexaeder (Würfe l), Ikosaeder, Dodekaeder entwickelt. Diese fünf regulären Körper w erden den Elementen mit entsprechenden Begründungen zugeteilt: der Würfel der Erde, das Tetraeder dem Feuer, das Oktaeder der Luft, das Ikosaeder dem Wasser, das Dodekaeder dem Weltall. Das Zusammenwirken und das Ineinanderübergehen dieser Gebilde wird geschildert, indem auf die vielerlei Arten von Feuer, von Erde, von Wasser hingewiesen wird. »Alle diese Körper muss man sich nun so klein denken, dass ihre Winzigkeit es unmöglich macht, irgendeinen von ihnen, aus welcher Gattung er auch sei, vereinzelt mit den Augen wahrzunehmen, vielmehr sind nur die durch starke Anhäufung entstandenen Massen sichtbar. «Es ist hier zunächst gar nicht die Frage, ob man diese Anschauungen richtig oder falsch findet, ob man sie kindlich oder genial empfindet. Vor allem ist der Eindruck wichtig, den solche Angaben machen. Man erlebt eine ungeheure Geordnetheit aller Dinge. Von diesem Gesichtspunkt aus wollen wir uns die von Plato aufgebaute Tonleiter betrachten. Nach dieser Tonleiter gestaltet der Schöpfer die Weltseele. Von vornherein bemerken wir, dass der Leser zunächst überhaupt nicht verstehen wird, was da mitgeteilt wird. Jahrhundertelang haben die bedeutendsten Köpfe an Kommentaren zu dieser Tonleiter gearbeitet. Weitgehende Aufklärungen finden sich in den Anmerkungen zu den Werken Platos (Zum Beispiel Platon, »Sämtliche Dialoge«, herausgegeben von Otto Apelt) Es führt zu weit, diese Kommentare wiederzugeben. Was wir wollen, ist, die Worte wiedergeben, mit denen Timaios die Schaffung der Weltseele schildert. Wir wiederholen: Es ist unmöglich, diese Sache ohne weiteres zu begreifen, geschweige denn zu erleben . Wir zitieren: »Er aber räumte der Seele (Weltseele!), was Ursprung und Trefflichkeit anlangt, den früheren Platz und höheren Rang ein und bildete sie als künftige Gebieterin und Herrin aus folgenden Bestandteilen und auf folgende Weise. Aus der unteilbaren und immer gleichen Substanz und der körperlich teilbaren anderseits stellte er durch Mischung eine mittlere dritte Art von Wesenheit her, die hinwiederum ihr eigenes Sein hatte neben dem ‚Selbigen‘ und dem ‚Anderen‘, und demgemäß bildete er diese Wesenheit als ein Mittleres zwischen dem Unteilbaren und dem körperlich Teilbaren. Dann nahm er alle drei und mischte sie zu einer einzigen Form zusammen, indem er die der Mischung widerstrebende Natur des Andern gewaltsam mit dem Selbigen vereinigte. Indem er sie so unter Hinzutritt des Seins mischte und aus den dreien Eines machte, teilte er dann wiederum dies Ganze in so viele Teile als erforderlich waren; dabei war denn jeder einzelne Teil gemischt aus dem Selbige n, dem Anderen und dem Sein. Er begann aber mit der Teilung folgendermaßen: Zuerst nahm er einen Teil von dem Ganzen weg, dann nahm er nacheinander zunächst das Doppelte des ersten weg, dann das Anderthalbfache des zweiten, das zugleich auch das Drei fache des ersten war, sodann viertens das Doppelte des zweiten, ferner fünftens das Dreifache des dritten, sechstens das Achtfache des ersten, siebentens dann das Siebenundzwanzigfache des ersten. Hierauf füllte er sowohl die zweifachen als die dreifachen Zwischenräume aus, indem er noch weitere Teile von dem Ganzen abschnitt und sie in die Mitte von ihnen setzte, sodass jeder Zwischenraum zwei Mittelglieder erhielt. von denen das erste das eine der äußeren Glieder in dem nämlichen Verhältnis überragte, in welchem es hinter dem andern zurückblieb, nämlich um den gleichen Bruchteil jedes der beiden äußeren Glieder, das zweite um die gleiche Zahl das eine Glied überragte und hinter dem anderen zurückblieb. Da nun aber durch dieses Gliederband in den ursprünglichen Zwischenräumen neue Zwischenräume entstanden waren von 3/2, 4/3 und 9/8 so füllte er mit dem Zwischenraum von 9/8 alle Zwischenräume von 43 aus und liess so in einem jeden einen kleinen Teil als weiteren Zwischenraum übrig, dessen Grenzglieder in dem Zahlenverhältnis 256 zu 243 stehen . Und damit war denn die Mischung, von der alle diese Teile abgeschnitten worden waren, gänzlich aufgebraucht. Darauf spaltete er dieses ganze Gefüge der Länge nach in zwei Hälften, schlang beide Teile in Gestalt des Buchstabens X zusammen und wand aus jedem einen Kreis, so dass beide mit ihren Enden der Mitte gegenüber miteinander wie auch jeder mit sich selbst zusammentrafen. Beiden Kreisen gab er die einförmige und in dem nämlichen Raum sich vollziehende Bewegung des Kreisumschwunges. Den einen dieser Kreise aber machte er zum äußeren, den anderen zum inneren. Der ersteren Bewegung gab er ihren Namen von der Natur des Selbigen, der letzteren von der des Anderen. Den des Selbigen ließ er sich nach rechts, den des Anderen schräg dagegen nach links bewegen; die Herrschaft aber verlieh er dem Umschwung des Selbigen und Gleichen, den er allein ungeteilt ließ; den des Inneren aber spaltete er sechsmal zu sieben ungleichen Kreisen, jeden nach den doppelten und dreifachen Intervallen, je dreien von jeder der beiden Arten. So ließ er die Kreise nach entgegengesetzten Richtungen gehen. Was aber ihre Geschwindigkeit anlangt, so gab er dreien dieselbe, den anderen vier aber jedem eine von dieser und unter sich verschiedene Geschwindigkeit, jedoch nach einem festen Verhältnis.« Mit diesen Angaben schildert Plato durch den Mund des Pythagoreers Timaios die Schöpfung der Weltseele nach Maßgabe der Tonintervalle, und zugleich werden diese Intervallzahlen die Entfernungen der Planeten. Die Intervallzahlen sind zugleich die Sphärenmaße der Planeten, des Weltalls. Diese Tonskala ist die Bildung der Weltseele und ist zugleich das Wesen der Gestaltung ihres Weltalls. Diese Beziehungen sind nun nicht etwa allegorischer Art, sondern sie sind als Wirklichkeiten gemeint. Auch der Mensch ist in diese Ordnungen eingegliedert. »Von allen Bewegungen aber ist die beste diejenige, die ein Körper durch sich selbst in sich entstehen lässt. denn sie ist am meisten der Bewegung der Denkkraft und des Weltalls verwandt.« »Die göttlichen Umläufe, zwei an der Zahl, schlossen sie (die Götter) in Nachahmung der runden Gestalt des Weltalls in einen kugelförmigen Körper ein, denjenigen nämlich, den wir jetzt Kopf nennen, das Göttlichste an uns und das zur Herrschaft über alles Sonstige in uns Berufene.« »Dem Göttlichen in uns verwandte Bewegungen aber zeigen die Denktätigkeiten und Umläufe des Alls. Ihnen also muss ein jeder folgen und durch Erforschung der Harmonien und Umläufe des Alls den Umläufen in unserem Haupte, die schon bei der Entstehung Schaden gelitten haben, ihre richtige Gestaltung verleihen und so das Betrachtende dem Betrachteten seiner ursprünglichen Natur gemäß angleichen, um auf diese Weise gekrönt zu werden mit demjenigen Leben, das den Menschen von den Göttern als das Beste für die gegenwärtige wie für alle folgende Zeit vorgehalten worden ist.« Wir haben nach dieser Darstellung die Ordnung des Weltalls tatsächlich in unsere r Denkkraft, in unserem Kopf. Durch die Geburt sind die Umläufe erschüttert und gestört. Durch die Pflege der Erforschung dieser Harmonien können wir den Kosmos in unserem Kopf wieder in die Ordnungen des Alls bringen. Dieses platonische Weltbild kann begeistern, kann anregen und befruchten. Wir können einen gewaltigen Eindruck aufnehmen. Doch auch wenn wir die Dinge nach-denken, mit-denken, müssen wir bemerken, dass wir sie nicht leben, dass wir schöpferisch unser Weltanschauen nicht in dieser Art hervorbringen können. Natürlich kann man sich herauslesen, was einem passt. Man kann sich einen ethischen Platonismus zurechtmachen und in seinen Kategorien leben. Aber ein solcher herausgeschnipselter Plato ist eben nicht mehr Plato. Bei ihm strömen diese mächtigen Bilder, diese gewaltigen Ordnungen aus vollem Geistesleben. Bei uns werden diese Dinge, wenn wir in Sphärenharmonien denken wollen, auch wenn alles den Maßen nach stimmt, schattenhaft. ja - im Hinblick auf den in der Akademie in Athen lebenden und lehrenden Plato- gespenstisch. Mag jemand noch so sehr seinen Plato in- und auswendig kennen, sein Denken schafft selbst nicht schöpferisch in jenen Proportionen und Zahlen, in jenen kosmischen Umläufen, die zugleich die guten, wahren und schönen sind. 

Im Hinblick auf die Bedeutung der Frage, wie wir zu den Denkergiganten der Vorzeit stehen, sei noch ein Beispiel ausgeführt: Heraklit. Wenn wir uns in die Fragmente von Heraklit einarbeiten, so haben wir auch hier das Gefühl von »Resonanzlagen«. Seine grandiosen Gedankenschilderungen der Gegensätze berühren uns unmittelbar. Haben wir doch in den Schwingungen dieses fortwährende lebendige Polaritätsspielen. Was jetzt Wellenberg ist, ist im nächsten Moment Wellental. Was jetzt in der Pulsation Peripherie ist, wird Zentrum im nächsten Augenblick. Was sic h hexagonal formiert, wird hexagona l aufgelöst und neu einpulsiert. Und doch ist bei allem ein einheitlicher Vorgang, eine Einheit: das Wellenphänomen. Dieser Ideengang lebt in dem Weltbild des Heraklit; zitieren wir aus seinen Fragmenten: Verbindungen: »Ganzes und Nichtganzes, Zusammengehendes und Auseinanderstrebendes, Einklang und Missklang und aus Allem Eins und aus Einem Alles.«

»Wer in denselben Fluss steigt, dem fließt anderes und wieder anderes Wasser zu.«

»Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben; wir sind es, und wir sind es nicht.«

»Ein und dasselbe offenbart sich in den Dingen als Lebendes und Totes, Waches und Schlafendes, Junges und Altes. Denn dieses ist nach seiner Umwandlung jenes, und jenes, wieder verwandelt, dieses.«

»Es ist immer dasselbe, was in .den Dingen wohnt: Lebendes und Totes, Wachendes und Schlafendes, Junges und Altes. Denn dieses wird, sich wandelnd, zu jenem, und jenes wieder, sich wandelnd, zu diesem.«

»Alles Geschehen erfolg e in Form des Gegensatzes, und all e Dinge seien in stetem Wandel begriffen, und die Weit entstehe aus dem Feuer und löse sich wieder in Feuer auf, in bestimmten Perioden, in stetigem Wechsel in alle Ewigkeit. Das aber geschehe nach dem Verhängnis.«

ln diesen Gegensätzen vollzieht sich das Weltgeschehen, aber in ihren Verhältnissen waltet Maß und entsteht Harmonie. Heraklit: »Diese Weit, dieselbige von allen Dingen, hat weder der Götter noch der Menschen einer gemacht, sondern sie war immer und ist und wird immer sein ein ewig lebendiges Feuer, nach Maßen sich entzündend und nach Maßen erlöschend.« »Dass sich die Weit bald in Feuer auflöse, bald sich wieder aus dem Feuer (neu) bilde, in gewissen Perioden.«

»Von den entgegengesetzten Kräften würden diejenigen, die zur Entstehung der Dinge führen, Kampf und Streit genannt, dagegen die zum Weltbrande führenden Eintracht und Friede, und der Wechsel von beiden ‚der Weg auf und ab‘, und die Weit entstehe demzufolge. Denn das Feuer wird, sich verdichtend, feucht und, sich weiter verdichtend, zu Wasser. Das Wasser aber wandelt sich, wenn es fest wird, zu Erde. Und das sei ‚der Weg abwärts‘. Und wiederum löse sich die Erde auf, aus der dann das Wasser wird und daraus das Übrige. Er führt nämlich beinahe alles auf die Ausdünstung des Meeres zurück. Das aber ist >der Weg aufwärts<.« »Der Weg auf und ab ist ein und derselbe.«

» ... Denn es könnte keine Harmonie geben, wenn es nicht hohe und tiefe Töne gäbe ... «

»Das Widerstrebende vereinige sich, und aus den entgegengesetzten (Tönen) entstehe die schönste Harmonie, und alles Geschehene erfolge auf dem Wege des Streites.«

«Es strebt wohl auch die Natur nach den Gegensätzen und wirkt aus ihnen den Einklang, nicht aus dem Gleichen ... «

»Sie begreifen nicht, dass es, das All-Eine, auseinanderstrebend, mit sich selbst übereinstimmt: widerstrebende Harmonie wie bei Bogen und Leier.«

Während wir bis jetzt Zusammenhängendes ahnen, kommen wir in eine schwierige Problematik beim Zentralwort der Heraklitischen Weltschöpfung: Logos. Bei Heraklit taucht dieses Wort erstmals mit dieser Wesensstellung auf. »Den Logos, der doch ewig ist, begreifen die Menschen nicht, weder bevor sie davon gehört noch sobald sie davon gehört haben ... «

»Obgleich aber der Logos allem gemeinsam ist, leben doch die Vielen, als ob sie eine eigene Denkkraft hätten.« 

»Verhängnis sei der Logos, der infolge des gegensätzlichen Auf und Ab die Dinge gestalte.«

» Herakleitos erklärt als Wesen des Verhängnisses den Logos, der das ganze All durchdringe. Das ist der ätherische Stoff, Ursame der Entstehung des Alls und des Kreislaufes der Dinge, dem ein bestimmtes Maß gesetzt ist.«)

Hier sitzen wir nun, wie Faust nach dem Osterspaziergang in seiner Studierstube: Wer ist der Logos? Da beginnt das Übersetzen: Weltvernunft Weltverstand, Weltgesetz, Wahrheit, Sinn, Kraft usw. Auch wenn wir uns zur Ansicht durchbringen, dass hier wahrlich »das Wort« gemeint sein kann: Was haben wir damit erreicht? Ist doch gerade das die Schwierigkeit, dass man sich unter dem Wort heute nichts vorstellen kann, das imstande sein soll, die Weit zu gestalten, zu leiten, zu regeln, dass die Laute weltschaffende Mächte sind. Während wir eben noch bei Heraklit ein Erwärmen fühlten, werden wir durch den Logos ins Unerfassliche gestoßen. Wir wollen durch diese Ausführungen niemandem die griechischen Denker und ihre Weltbilder verfremden. Im Gegenteil. Wir wollen versuchen, ihnen zu begegnen, so wie sie sind. Und da zeigt sich, dass wir für das lebendige Erfassen, für schöpferisches Begriffebilden ihnen nicht mehr gleichen. Wir sind ihren Quellen ferne. Wir sehen sie wie herrliche Landschaften in leuchtendem Abendgold; aber ihre Sonne lebt nicht in unseren gegenwärtigen Herzen. Obwohl fast unser ganzes Denkinstrumentarium aus jenen Epochen stammt, obwohl wir noch von ihnen zehren und leben: Wir sind es nicht mehr, wir erleben es nur im schattenhaften Abbild, wir müssen aufpassen, nicht Gespenster zu werden.

Um diese Haltung, dieses Weltgefühl des Altertums noch einmal anzudeuten, kehren wir bei Aristoxenos ein. Er ist Aristoteliker (350 v. Chr. in Athen wirkend); von seinen vielen Schriften ist nur Weniges auf uns gekommen: Harmonik, Rhythmik, Melik. Wir wählen als Beispiel, was Aristoxenos in Verbindung mit dem Rhythmus sagt. »Wir müssen uns nun folgende zwei Begriffe klar machen, nämlich den des Rhythmus und den des rhythmusfähigen Stoffes, die sich zu einander ähnlich verhalte n, wie sich verhält die Gestalt und das Gestaltbare gegen einander. Denn wie der Körper mehrere Arten von Gestalten annimmt, wenn seine Teile in verschiedene Lagen und Stellungen gebracht werden, und zwar entweder alle oder einige von ihnen; so nimmt auch jeder einzelne von den rhythmusfähigen Stoffen mehrfache Formen an, nicht in Folge eigener, sondern in Folge der Gestaltungskraft des Rhythmus. Denn ein und derselbe Sprachtext, setzt man ihn in Zeitteile, die von einander abweichen, nimmt gewisse derartige Abwandlungen an, welche entsprechend sind den Abwandlungen im Wesen des Rhythmus selbst. Die nämliche Bewandtnis hat es mit der Melodie, und was sonst sich rhythmisch gestalten lässt durch e in en solchen Rhythmus, welcher aus Zeitteilen besteht.«

Wir müssen aber von hier unser Augenmerk auf das angeführte erläutern de Beispiel zurückwenden, indem wir versuchen, damit zugleich auch Aufklärung zu gewinnen »Über jedes der beiden genannten Stücke, als da sind Rhythmus und der rhythmusfähige Stoff«. Einerseits nämlich ist mit keinem der gestaltungsfähigen Körper irgendeine der Gestalten eins und dasselbe, sondern es ist die Gestalt eine gewisse Anordnung der Körperteile, die dadurch zustande kommt, dass jeder derselbe n eine gewisse Lage und Stellung einnimmt, woher denn auch die Gestalt benannt ist. Ebenso ist andererseits auch der Rhythmus mit keinem der rhythmusfähigen Stoffe eins und dasselbe, sondern er ist Etwas, das den rhythmusfähigen Stoff irgendwie anordnet und rücksichtlich der Zeitteile so oder so gestaltet... Es ist also der Rhythmus das eine und das zu »berhythmende « Element das andere (das Rhythmizomenon, wie es Aristoxenos nennt). Solche zu berhythmende Elemente sind die Melodie, die Sprache, die menschliche Gestalt. Für Aristoxe nos ist der Rhythmus dasjenige, da s die Sprache, die Melodie, die menschliche Form gestaltet: in der Dichtkunst, in der Musik, im Tanz. Diese erscheinen einzeln oder verbunden im Kunstwerk, wenn etwa der poetische Text gesprochen, gesungen und durch Tanz dargestellt wird. Es fällt auf, dass der Rhythmus für Aristoxenos eine gestaltende Macht darstellt. Er ist wirklich und wesenhaft da und greift in den Stoff (in die Sprache, in die Melodik, in den Tanz) gestaltend ein.

Mit diesen aphoristischen Hinweisen möchten wir anregen, den früheren Weltbildern und Weltgestaltungen als moderner Mensch zu begegnen. Natürlich müsste hier, um nur einigermaßen der Sache gerecht zu werden, zu einer eigenen Monografie aus geholt werden. Indem wir Archytas, die Pythagoreer, Plato, Heraklit , Aristoxenos skizzenhaft anführen, sind nur Streiflichter auf Wellen geworfen, die mächtig durch die Geistesgeschichte wogen. Denn einerseits weisen ja gerade Pythagoras und Heraklit auch Plato, wiederum weiter zurück nach dem alten Ägypten, nach Chaldäa, und andererseits wirken diese Strömungen in vielen Persönlichkeiten nach bis zu Giordano Bruno, bis zu Johannes Kepler. Ist doch das ganze Forschen Keplers bestimmt durch die Vision am 9. Juli 1595, durch die er die fünf regulären Körper in die Planetensphären eingeschrieben schaute. Sein ganzes Streben war, durch genaue Zahlen diese Schauung zu verifizieren. Auf diesem Weg fand er seine drei Gesetze über die Planetenbewegung. Man lese aber Kepler selbst. Da tritt uns eine Geisteshaltung entgegen, die wir bewundern und verehren können, die uns aber niemals mehr als schöpferische Kraft erfüllen kann.

Ob man diese früheren, grandiosen Weltb il de r der Harmonik und der kosmischen periodischen Ordnung als phantastische Speku lationen, als abstruse Zahlenmystik oder als kindliche Irrtümer ansieht, das mag jedem selbst überlassen bleiben. Wir bemerken aber auf jeden Fall, indem wir auf das mächtige Weltanschaue n eines Plato, eines Heraklit zurückschauen, dass wir in keiner Weise jene Zahlen- , Maß- und Symmetrieordnungen heute darlegen können. Unsere geistige Konstitution gibt das nicht mehr her. Betrachten wir zum Beispiel die Figuren Giordano Brunos, durch die er Weltinhalte darstellte, so fehlt uns das Vermögen, in solchen Strukturen zu erleben. Auch wenn wir diese oder jene Anschauung begreifen und sie gar anwenden und benützen, ein volles saftiges Geistesleben liefern uns die Überlieferungen nicht mehr. Man kann sich selbstverständlich Zahlen und Proportionsverhältnisse zu einem Weltbild im Sinne der Alten aufbauen; man kann darin auch eine gewisse Befriedigung fühlen. Doch führen uns diese Harmonikalien nicht zu einem schöpferischen, sich lebendig ausgestaltenden Weltverhältnis. Was meinen wir damit? Die bildende Kunst in erste r Linie die Malerei, ist der signifikanteste Ausdruck dessen, was in einer Epoche wirkt und lebt. Da bemerken wir gegenwärtig ein gewaltiges Ringen zwischen Form und Dynamik. Wir finden bis aufs Äußerste perfektionierte Konstruktivismen, die geradezu in s Mathematische hinaufspielen, die einfrieren, erstarren. Auf der anderen Seite die kinetische Kunst. Alles bewegt sich, saust herum, rast elektromagnetisch im Raum dahin, löst sich in einem Gezappel, in einem Molekülsturm auf. Dazwischen alle Nuancen . Vor allem auch turbulenter Schrott makabrer Mulm am Ufer der Richtungen und Experimente. Ganz außerhalb allen ästhetischen Wertens oder konventionellen Aburteilens lassen sich Vorgänge beschreiben, die ein heißes Bemühen zeigen, überhaupt irgendwie in der Welt noch zurechtzukommen. Was sollen solche Bemerkungen in einer Schrift die über physikalische Beobachtungen berichtet? Was in der bildenden Kunst sich auf seine Weise zeigt, liegt auch für die Naturwissenschaft vor. Um uns, vor uns, in uns sind Rätsel als Gestaltungen, als Prozesse, als Figuren, als Bewegungen; doch alle in dunkler Kontur. Hier kann man nicht sagen, das interessiert uns nicht; denn wir treiben mit diesen Rätseln durch unser Leben, wir sind diese Rätsel selbst. M an kann auch nicht sagen, wir bewahren in diesem unfassbaren Trubel das Gleichgewicht. Denn just die Elemente zu einem solchen Gleichgewicht sind nicht da. Man greift nach Traditionen, rettet sich in die Großheiten der Überlieferung, während man in den Katarakten unserer Gegenwarten fortgerissen wird. Und da soll die Kymatik mitreden können?

Wenn wir die Ganzheitlichkeiten der Schwingung auffassen, so halten wir die Wirklichkeiten an einem Zipfel fest. Wir kriegen etwas in die Hand, was uns Werkzeug sein kann im Erschaffen von durchschaubaren Weltverhältnissen. Wir verfolgen in der kymatischen Phänomenologie das Verfahren, der ganzen Erscheinung anzuhängen, der Natur unentwegt schauend, hörend, denkend zu folgen. in diesem Bemüh en betätigen wir Kräfte; wir trainieren und schulen die Erkenntniskräfte. Wiederholt betonten wir, dass es darum geht, Beobachtungs-, Wahrnehmungs- und Erkenntnisorgane zu entwickeln. Es geht also nicht nur um immer vollkommenere Apparate und Versuchsanordnungen, sondern auch um ein fortschreitendes, sich entfaltendes Erkenntnisvermögen. Woher wir wissen, dass sich dieses Erkenntnisvermögen zu Organen der Wahrnehmung ausbilden kann? Wir vollziehen an den Phänomene n in den Begriffs und Vorstellungstätigkeiten »die höchsten Operationen des Geistes «, wie Goethe es nennt. Wir debattieren nicht über Erkenntnisgrenzen. Wer solche feststellt, beschreibt sich selbst. Für ihn gelten sie. (Es ist interessant, in diesem Zusammenhang nebeneinanderzustellen, was Kant in seiner »Kritik der Urteilskraft «, im zweiten Teil, »Kritik der teleologischen Urteilskraft«, 1790 über das Erkenntnisvermögen des Menschen gegenüber organisierten Wesen darstellt, und was Goethe in seinem »Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären« 1790 ausspricht. Es führt zu weit. die einschlägigen Stellen hier zu zitieren. Doch soll es nicht unterlassen sein, den Leser auf diese dramatische Situation der Geistesgeschichte hinzuweisen; die Gegenüberstellung trägt zur Evidenz des Satzes bei: Wer Er kenntnisgrenzen feststellt, beschreibt sich selbst und seine eigene Erkenntnislage.) Was sich aber ergibt, wenn wir weiterdringen, forschend den Rätseln anhangen, das wird das Leben zeigen. Wie also soll es weitergehen? Wir stießen, indem wir zunächst Töne, Klänge, Laute wirken ließen, auf vollkommene Ordnungen der Zahlen, der Maße, der Symmetrien. Diese Ordnungen sind nicht tote starre Figuren, sondern sie pulsieren, sie strömen, sie wandeln sich; sie weben in Polaritäten und Metamorphosen. Sie steigern sich zu Phänomenen, die in aller Kinetik »alles« wohlgeordnet offenbaren . Soll uns das jetzt Rezept werden zu ein er symmetrischen Welt und Lebensanschauung? Mitnichten. Wir werden uns vielmehr bewusst. Wir sind am Anfang. Die Gratwanderung beginnt erst. Da stehen jetzt vor uns Tonfolgen, Lautfolgen, Melodie, Wort, Sprache. Wie sind deren Gestaltfolgen, wie verlaufen die periodischen, rhythmischen Reihenfolgen, die ja wieder ein Ganzes sind? Wir können doch nicht als Naturwissenschafter vorhandene Rätselhaftigkeiten als Tabu der Forschung uns selbst verbieten. Wir fragen also: Was ist es denn mit dem Sprechen, was liegen da für eigenartige Rhythmen vor; was pulst in den Versmaßen? Ja, wir fragen uns- ohne im Geringsten den Naturwissenschafter zu verleugnen- woher kommt so etwas wie die »Appassionata« von Beethoven, die »Jupitersymphonie« von Mozart, woher die Sprache Goethes usw.? Wir fragen nicht nach ästhetischen Beschreibungen, Erläuterungen und kulturgeschichtlichen Kommentaren. Vielmehr gehört es für uns in ein und denselben Kosmos, wenn eine Appassionata hingeschrieben wird, die Ordnungen, Maßverhältnisse der Melodien, symmetrische Variationen, Dynamik und Konfigurationen enthält. Damit wollen wir das kostbare Werk nicht zerlegen und sezieren, sondern das Gegenteil. Das Werk soll uns in seine Urgründe tragen; wir verstärken das Erleben, wir trainieren und üben unsere Kräfte, wir treiben Erkenntnisgymnastik und schauen, wohin wir gelangen, was uns die Rätsel bescheren. Also nicht auf den Seziertisch führt unser Unternehmen, sondern wir drängen in den erzeugenden, schaffenden, webenden Urgrund. Was soll das Wort »Urgrund«? Haben wir da nicht wieder einen neufabrizierten Dunst? Beileibe nicht. Wir brauchen die Silbe »Ur« in der deutschen Sprache, wenn wir etwas bezeichnen wollen, aus dem vieles entsteht aus dem vieles sich ableitet, das vieles in sich schließt und umfasst (Urtier, Urpflanze, Urphänomen). Wie gelangen wir in einen solchen Urgrund der Schwingung? Da rückt der menschliche Kehlkopf, der menschliche Sprachorganismus ins Gesichtsfeld. Er ist omnipotent in dem Sinne, dass er in seinem Frequenzband alles darstellen und erzeugen kann, unter anderem in seinem Frequenzbereich die ganze Kymatik, alle Figuren, Kreisströme, Turbulenzen, Harmonikales usw. Nicht nur seine Anatomie, seine eigenartige Physiologie und seine aus dem Kiemenkorb der Fische stammende Herkunft und Metamorphose gilt es zu studieren, obgleich das gerade in das Geheimnis dieses Organs hineinführt; vielmehr wollen wir uns in seine Tätigkeit hineinfinden. Ob da etwas herauskommt? Ob das einen Sinn ergibt? Das bestimmen wir nicht vorher, das wissen wir vorher gar nicht. Das bleibt zunächst offen. Wir verfahren nach der angegebenen Methode. Methodos heißt eigentlich »Nachgehen«. Wir gehen dem Kehlkopf nach, der potenziell in seinem Vermögen die ganze Kymatik umfasst, also auch ein Ur-Organ ist oder besser- um die hier einschlägige Kategorie zu nennen - im wahren, wirklichen Sinn das Urwort ist. Was ist also das Urwort? Das ist dasjenige, auf das wir uns als auf eine Rätselhaftigkeit richten, dem wir uns in der Kymatik methodisch zu nahen suchen, dem wir uns unter Gebrauch aller anschauenden und lauschenden Urteilskräfte, aus den Grundlagen moderner Naturwissenschaft hervorgehend, weihen wollen.

Wir jagen also -das ist sicher- keinem Phantom nach, sondern wir richten unsere Wahrnehmungskräfte auf den Sprachorganismus und ebenfalls auf den damit einheitlich zusammenhängenden Gehörorganismus, die beide eine geradezu allumfassende Rätselhaftigkeit offenbaren. Wir bewegen uns forschend auf eine schöpferische Welt, auf eine weitschaffende Macht zu. Damit allein schon ist mit dem Schöpferischen für den Forscher, für den Künstler, für jeden lebendigen Menschen ein Element gegeben, in dem er atmen, leben, bilden, wirken kann. Wir zaudern und zagen nicht: Wird etwas herauskommen? Werden sich die Rätsellösen? Kommen wir lebend durch? Wie endet dieses Abenteuer? Wir sind in der Wirklichkeit der Rätsel; in ihnen werden wir; der Mensch ist nicht, er wird mit immer vollerem und klarerem Bewusstsein (Wer den Entwicklungsgedanken lebendig fasst. wird nicht abnehmen können, dass es Menschen schon gibt; er wird vielmehr bemerken, dass Menschen erst Menschen »werden« werden.) Blickt er dann auf die Großheiten der Vergangenheit zurück, so 'tut er das in Eigenständigkeit und Selbständigkeit. Dann aber fühlt er in der Bewunderung und Verehrung jener harmonischen Weltbilder eine echte Resonanz; trägt er doch den neuen Kosmos als das zur Offenbarung drängende Geheimnis des Urwortes in seinem Herzen. Damit werfen wir einen methodischen Vorblick auf das weitere kymatische Forschen." (Hans Jenny, Kymatik, Wellenphänomene und ihre Schwingungen, AT-Verlag, 2009, S.267ff) 

Probleme der Kymatik

 

 

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